Wer bis in den Bauch der Stadt vordringen möchte, braucht einen starken Magen . (Foto: Simone Preißler)

Ich habe mich der Herausforderung gestellt. Meinen eigenen Ansprüchen an die Großstadt, an die Lust, an das pralle, fette Leben. Ich habe versucht, eine fremde Stadt kennenzulernen. Ich bin gescheitert.

Ich habe Kutteln gegessen.

Ich habe keine Kutteln bestellt, ich habe bestellt: Hornos madrileños. Stand so auf der Karte, der Kellner lächelte, schnalzte mit der Zunge, sagte etwas wie „Very good!“, dann zeigte er mir ein Foto, auf dem Undefinierbares zu sehen war, Eintopfartiges, ich lächelte, „Si, bueno“, mein Spanisch geht gegen nichtexistent, es würde schon lecker sein, was er mir bringt, es hieß ja nicht umsonst „madrileños“, also soviel wie „nach Madrider Art“, und wenn etwas nach der Art der Stadt ist, in der ich mich gerade befinde, dann ist das zweifellos lecker. Der Kellner brachte mir etwas, das aussah wie zerschnittene Putzlappen in Soße, noch einmal: „Very good!“, und ich wusste, was ich auf meinem Teller hatte. Kutteln.

Ich kenne Kutteln, dort, wo ich herkomme, isst man das ebenfalls, sauer eingelegt, es gilt als problematische Delikatesse für ein elitäres Nischenpublikum, die nur in ausgewählten Restaurants auf den Tisch kommt. Kutteln sind Innereien, in Streifen geschnittene Pansen, also Vormägen von Wiederkäuern. „Vormägen“, die Vorstellung ist widerlich, und dass man die Dinger säuert, sprich: mit Essig und Weißwein zubereitet, hängt wahrscheinlich ursächlich damit zusammen, dass sie einen grausigen Eigengeschmack haben dürften. Ich habe nie welche gegessen.

Aber es ist wichtig, sie irgendwann einmal zu essen. Man sollte alles irgendwann einmal gegessen haben, alles, was auch nur halbwegs verzehrbar ist, und man sollte es dort gegessen haben, wo auch andere Leute es essen. Weil, Museen, Clubs, Sehenswürdigkeiten, das ist der Kopf einer Stadt, es ist wichtig, ihn gesehen zu haben, aber mal ehrlich, der Kopf der Stadt A ähnelt dem Kopf der Stadt B sehr. Ob man jetzt im Centre Pompidou in Paris ist oder im Bozar in Brüssel, klar macht das einen Unterschied, aber doch nur einen graduellen, irgendwie hängt doch überall Neo Rauch. Der Bauch einer Stadt aber, das sind die Märkte, die Metzgereien, die Kneipen, und da muss man sich drauf einlassen, da ist die Stadt so wie nirgendwo anders. Da muss man ohne Angst auf die Speisekarte tippen, lächeln und sagen: „Hornos madrileños, por favor.“ Und hinterher hat man sich die Stadt einverleibt, man hat erfahren, wie die Stadt isst und tickt.

Ich aber bin gescheitert. Ich habe Kutteln gegessen, ein Stück, noch ein Stück, die Soße war sämig, schmeckte ein wenig nach Rauch, scharf auch, Gott, was müssen die Kutteln pur eklig schmecken, wenn man sie so stark würzt. (Der scharfe Geschmack kommt von der Chorizo in der Soße, erfahre ich später. Chorizo, lecker.) Ich aß, und ich konnte nichts anderes denken als: Pansen. Vormagen. Gärkammer. Es schmeckte im Grunde gut, aber alles, was bei mir ankam, war: ekelhaft. Später erfahre ich: Die Zubereitung von Kutteln ist eine Kunst, man muss sie lange auf den Punkt kochen, aber falls sie zu lange gekocht werden, verwandeln sie sich in Schleim, das macht die Vorstellung noch einen Tacken appetitlicher, aber nein, das, was ich hier auf dem Teller hatte, war kein Schleim, es war wunderbar bissfest. Pansen.

Ich habe die, wahrscheinlich wirklich meisterlich zubereiteten, Kutteln probiert. Ich habe die Hälfte zurückgehen lassen, ich habe noch einen Wein und noch einen Schnaps zur Verdauung geschluckt. Ich habe seither ein schlechtes Gewissen: Ich bin nicht bis in den Bauch der Stadt vorgedrungen, ich habe die Stadt nicht erfahren.

Und am nächsten Tag bin ich ins Museum.